Der Neuling verblüfft die Liga

 

Handball, Baden-Württemberg-Oberliga: Mit dem TuS Steißlingen empfängt der TSB Gmünd einen überraschend starken Aufsteiger

Vor Saisonbeginn stellte der TuS Steißlingen für die allermeisten Oberligisten ein völlig unbeschriebenes Blatt dar, doch der Neuling aus der Bodenseeregion schlägt sich in der semiprofessionellen Umgegebung mehr als wacker. Vom vermeintlich sicheren Absteiger hat sich das Team von Trainer Jonathan Stich zum Favoritenschreck gewandelt und auch der TSB Gmünd besitzt angesichts der deutlichen Hinspielniederlage keine allzu guten Erinnerungen. 

In dem kleinen Ort im Hegau mit gerade einmal 4800 Einwohnern ist im vergangenen Frühjahr ein nie dagewesenes Handballfieber ausgebrochen, als die heimische TuS mit dem erstmaligen Oberliga-Aufstieg Geschichte schrieb. "Unglaublich, dass wir es wirklich geschafft haben. Für unseren Verein und unsere kleine Gemeinde ist der Aufstieg in die 4. Liga eine Riesensache", zeigte sich TuS-Trainer Jonathan Stich glücklich nach dem Gewinn der Meisterschaft in der Südbadenliga. Und sein Vater, Abteilungsleiter Markus Stich fügte hinzu: "Die Euphorie ist riesig. Es hat sich sogar im Lauf der vergangenen Saison spontan eine Fangruppe formiert, die uns aktiv angefeuert hat. Handball ist gerade das Dorfgespräch, da das mit Abstand die Sportart Nummer eins bei uns ist." Und beim Blick auf die Landkarte und die großen Namen der kommenden Gegner kommt sofort der Vergleich mit dem "kleinen gallischen Dorf" auf, welches den aussichtslosen Kampf durch Raffinesse und Geschick meistern möchte. 

 

Der Liganeuling war sich seiner Rolle als krasser Außenseiter von Anfang an bewusst. "Alle Experten rechnen mit einem sofortigen Wiederabstieg. Es ist unsere große Chance, dass man uns unterschätzt“, betonte Jonathan Stich, welcher den Klassenerhalt zu Saisonbeginn als Maximalziel ausrief: "Den können wir nur erreichen, wenn die jungen Spieler eineinhalb bis zwei Schritte vorwärts machen. Drin zu bleiben wäre ein noch größerer Erfolg als die Meisterschaft – gerade mit unseren begrenzten finanziellen Mitteln und dem jungen Kader." Der 32-Jährige selbst gewann als Rückraumspieler mit den Kadetten Schaffhausen die schweizerische Meisterschaft 2005 und 2006, ehe er zu seinem Heimatverein zurückkehrte. 

 

Nach dem Aufstieg folgte eine deutliche Verjüngung des Kaders, denn die personellen Abgänge wurden ausschließlich mit Eigengewächsen und Spielern aus der Region kompensiert. Man ist im Verein damit seiner Philosophie treu geblieben und hat keine vermeintlichen „Stars“ verpflichtet, nur um die Klasse zu halten. Genau darin lag in der jüngeren Vergangenheit das Steißlinger Erfolgsrezept. "Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und konsequent auf die Jugend gesetzt", so Jonathan Stich rückblickend. Der Großteil der Akteure wurde im eigenen Nachwuchs ausgebildet, seit 2014 bündelt die JSG Hegau die Kräfte im Nachwuchshandball aus Steißlingen und der benachbarten Stadt Singen am Hohentwiel. Die männliche A-Jugend gewann 2017 die südbadische Meisterschaft – um den Nachwuchs muss der TuS also nicht bange sein. 

 

Ein direkter Wiederabstieg in die Südbadenliga wäre daher überhaupt kein Beinbruch, doch so weit will der Underdog gar nicht denken. Der Lernprozess der Mannschaft ist für Stich das größte Anliegen, zusätzlich gelang mit den Siegen in Deizisau (33:28) und gegen Plochingen (24:23) ein unerwarteter Traumstart. Trotz einiger Verletzungsprobleme bewies der Neuling eine hohe Moral, ließ sich auch von drei Niederlagen in Folge nicht schocken und punktete weiterhin sehr konstant. Der TSB selbst musste beim Hinspiel in der Steißlinger Mindlestalhalle einen absoluten Tiefschlag verkraften. "Wir waren an diesem Abend nicht oberligawürdig", resümierte Trainer nach der auch in dieser Höhe verdienten 24:33-Klatsche. In heimischer Halle konnte der TuS bereits sechs Siege einfahren und ließ vor allem durch den Überraschungserfolg gegen Drittliga-Absteiger Pforzheim (31:24) aufhorchen. Als herausragender Akteur trat bislang Rechtshänder Maurice Wildöer in Aktion, welcher mit 128/25 Treffern aktuell den sechsten Rang in der Oberliga-Torschützenliste belegt. Durch sechs weitere Punktgewinne nach dem Jahreswechsel verteidigte sein Team derweiil den zweiten Rang. In Plochingen (18:34) und Baden-Baden (23:39) musste die Stich-Sieben allerdings deutliche Niederlage einstecken und verpasste gegen Aufstiegskandidat Herrenberg (26:27) nur haarscharf einen weiteren Coup. Dies holten die Steißlinger am vergangenen Sonntag gegen den ambitionierten TV Willstätt nach, so dass sich der Coach nach dem 30:27-Sieg hocherfreut äußerte: "Dass wir in der Lage sind eine solche Mannschaft zu schlagen ist ein Beweis unserer Entwicklung in dieser Saison. Ich hoffe, der Sieg gibt uns Schwung für die nächsten Spiele gegen direkte Konkurrenten um den Klassenerhalt."

 

Ein solch bedeutsames Vier-Punkte-Spiel steht bereits am Samstag (19:30 Uhr) in der Gmünder Großsporthalle auf dem Programm. Angesichts der bisherigen Bilanz von 19:23 Punkten scheint der beinahe sensationelle Klassenverbleib für den Neuling beinahe schon greifbar. Auch im beginnenden Saisonstart muss sich der TuS keinesfalls verstecken, hat man doch schon bewiesen, in der Oberliga an einem guten Tag gegen jeden noch so namhaften Kontrahenten bestehen zu können. Auch der TSB wird keinesfalls mehr den fatalen Fehler begehen, diesen unberechenbaren Liganeuling zu unterschätzen.

(Nico Schoch)

Unser nächstes Auswärtsspiel: SV Remshalden – TSB Gmünd am Samstag, 10.März um 18 Uhr (Stegwiesenhalle Geradstetten)