Handball, Baden-Württemberg-Oberliga: Der TSB Gmünd bezwingt die favorisierte SG H2Ku Herrenberg verdient mit 31:29 (15:13) (Nico Schoch)
In überzeugender Manier ist dem TSB Gmünd am Samstagabend eine faustdicke Überraschung gelungen: Vor 450 begeisterten Zuschauern in der heimischen Großsporthalle konnte das Team von Trainer Michael Hieber den Aufstiegsaspiranten SG H2Ku Herrenberg mit 31:29 (15:13) niederringen und sich dank dieser couragierten Vorstellung zwei enorm wichtige Zähler gegen den Abstieg sichern.
Als die letzten Sekunden einer ebenso spannenden wie dramatischen Begegnung herunterliefen, glich die Große Sporthalle einem Tollhaus. Mit Standing Ovations honorierten die TSB-Fans die starke Kollektivleistung ihrer Mannschaft, welche damit einen der großen Meisterschaftskandidaten in die Knie gezwungen hatte. Als dann die Schlusssirene ertönte, brachen alle Dämme und es bildete sich eine große Gmünder Jubeltraube, worin Sieggarant Philipp Neukamm beinahe von den eigenen Mitspielern erdrückt wurde. "Das ist pure Gänsehaut", gab der TSB-Tormann wenig später zu Protokoll. Denn es war schlichtweg ein perfekter Tag für den 38-Jährigen und Trainer Michael Hieber fügte treffend hinzu: "Solche Geschichten schreibt eben nur der Sport."
Denn mit einer beeindruckenden Leistung und einer herausragenden Quote von 40 Prozent gehaltener Bälle hatte Neukamm dieser Partie in besonderer Weise seinen Stempel aufgedrückt. Sein Einsatz hatte zunächst alle Zuschauer überrascht: Doch der im vorherigen Heimspiel gegen Weilstetten (33:27) überragende Sebastian Fabian hatte sich krankheitsbedingt abmelden müssen, was Hieber als "Hiobsbotschaft" wertete, so dass der etatmäßige Ersatzmann seine Chance erhielt. Nicht nur auf der Torhüterposition hatte sich die personelle Ausgangslage im Vorfeld verschärft: Jonas Leinss weilte im Ausland, Christian Waibel hatte vom Arzt keine Freigabe erhalten und auch der angeschlagene Philipp Schwenk war nicht hundertprozentig fit. Somit hatte der TSB-Coach nur noch elf Feldspieler zur Verfügung. Doch dieses "letzte Aufgebot" sollte die schwere Hürde Herrenberg mit Bravour meistern, wie es sicherlich nur wenige erwartet hätten.
Von Beginn an begegneten die Gmünder dem vermeintlichen Favoriten absolut auf Augenhöhe. Im Nachsetzen bugsierte Kreisläufer Jonas Waldenmaier den Ball zum 1:0 ins gegnerische Netz, im Gegenzug konnte Neukamm direkt seine ersten beiden Paraden verzeichnen. Es war ein Torhüter-Fernduell der besonderen Art: Auf der einen Seite glänzte Neukamm, der in den vergangenen beiden Spielzeiten "nur" in der Bezirksliga aktiv war. Auf der Gegenseite hütete mit dem 39-jährigen Routinier Tobias Barthold ein langjähriger Zweit- und Drittligakeeper das Gehäuse. Doch auch beide Abwehrreihen arbeiteten bereits in der Anfangsphase unglaublich intensiv, so dass jeder einzelne Torerfolg mit hohem Kraftverschleiß verbunden war. Wir haben vor allem in der Abwehr das fortgesetzt, was wir vor zwei Wochen angefangen haben und den starken Herrenberger Rückraum im Griff gehabt", meinte Hieber anerkennend. Auf Gmünder Seite waren es insbesondere Jan Häfner sowie Sven Petersen, die dort hin gingen, wo es wehtat und damit Platz schafften für ihre Torjäger Dominik Sos und Aaron Fröhlich. Die Hausherren lagen stets mit einem Treffer in Front, doch Herrenberg ließ sich nicht abschütteln und bleib insbesondere bei den sechs schnellen Kontertoren eiskalt. Beim beim 12:13 nach 27 Minuten hatte die SG die Partie sogar kurzzeitig gedreht. In den verbleibenden 180 Sekunden einer kampfbetonten ersten Hälfte verlieh der TSB dem Spielverlauf dann die wegweisende Wende: Spielmacher Fröhlich sowie Linksaußen Nico Krauß sorgten mit ihren Treffern dafür, dass die Gmünder einen 15:13-Vorsprung in die Pause mitnehmen konnten. Beinahe hätte Fröhlich sogar noch einen draufgesetzt, doch sein Torabschluss nach schnellen Spielzug erfolgte einen Sekundenbruchteil zu spät.
Mit breiter Brust kehrten die Gastgeber aus der Kabine zurück und setzten ihren Lauf direkt nach Wiederanpfiff fort: Eine solide TSB-Abwehr mit dem starken Neukamm im Rücken ließ fünf weitere Minuten lang kein Gegentor mehr zu, Dominik Sos wiederum markierte vier Treffer in Folge und markierte mit einem Wurf aus der eigenen Hälfte in den verwaisten SG-Kasten das 19:13. Die laut Hieber "unfassbare Qualität" des langjährigen Drittligisten kam nicht mehr zur Geltung. Stattdessen konnten die Gmünder ihren schon beinahe beruhigenden Vorsprung in der Folgezeit sogar ausbauen und so sah sich Gästecoach Markus Guse nach 42 Minuten zu einer Auszeit gezwungen. Direkt im Anschluss sorgte jedoch TSB-Youngster Sven Petersen beim 25:16 für den deutlichsten Zwischenstand. "Das war eigentlich schon der Genickbruch für uns", so Guse nach Spielende. Dennoch hatten sich die Gäste keinesfalls aufgegeben, mobilisierten ihre letzten Kraftreserven und verkürzten nur zehn Minuten später zum 27:23. Die Gmünder hatten den so wichtigen Heimsieg bereits in Reichweite, agierten allerdings zu selbstsicher, so dass die emotional geführte Schlussphase zur Zitterpartie geriet. Der achtfache Torschütze Aaron Fröhlich war von den Gästen in Manndeckung genommen worden und nicht nur Jan Häfner musste feststellen, dass "uns in dieser Phase der Rote Faden und die Ideen gefehlt haben."
"Wir hätten das Spiel früher entscheiden können", ärgerte sich Hieber, hob aber auch hervor, dass sich die Mannschaft trotz der spürbaren Verunsicherung wieder herauskämpfen konnte .Mit zwei entschlossenen Einzelaktionen hielt Sos den Vier Tore-Vorsprung zunächst aufrecht, ehe die SG dank eines Doppelpacks von Dominic Rose beim 29:27 wieder in Schlagdistanz gelangte. Nach zwei vorangegangen Fehlwürfen markierte Jonas Waldenmaier daraufhin seinen vierten und wohl wichtigsten Treffer, Christian Dürner verkürzte erneut. Die Dramatik einer mitreißenden Partie gipfelte in der Schlussminute: Beim Spielstand von 30:28 und noch 53 verbleibenden Sekunden trat der erfahrene SG-Spielmacher Dürner zum Strafwurf an. "Ich wusste, dass ich den halten muss - sonst wird es ganz eng", meinte Neukamm rückblickend. Und tatsächlich: Der TSB-Rückhalt krönte seine starke Leistung mit einer fantastischen letzten Parade und hielt den Heimsieg fest. Auf der Gegenseite blieb Sos aus sieben Metern cool und machte den Coup gegen den Aufstiegsaspiranten klar. Die Schlusssirene ging dann im unbändigen Gmünder Jubel über diese wertvollen zwei Punkte unter.
Auch Michael Hieber ließ es sich nach der Begegnung nicht nehmen, seinem Matchwinner das hochverdiente Sonderlob auszusprechen: "Wir wissen, dass wir mit Sebi Fabian einen herausragenden Torhüter haben. Philipp ist ein toller Teamplayer und daher freue ich mich ganz besonders für ihn und seine überragende Leistung." Doch es wäre sicherlich auch falsch, nur einen Akteur hervorzuheben: "Wir haben als Mannschaft hervorragend gearbeitet, jeder hat für den anderen gekämpft", resümierte der TSB-Coach nach dem Heimerfolg, der trotz des letztendlich knappen Resultates kaum verdienter hätte ausfallen können. Auch Hieber selbst konnte seine Freude nicht verbergen, warnte aber zugleich davor, nach dem zweiten Sieg in Folge in zu große Euphorie zu verfallen: "Ebenso wenig wie vor wenigen Wochen alles schlecht war, ist jetzt noch nicht alles gut. Wir werden uns weiterentwickeln und brauchen noch mindestens fünf oder sechs Siege für den Klassenerhalt."
In jedem Fall hat der TSB ein dickes Ausrufezeichen im Abstiegskampf gesetzt und kann am kommenden Sonntag mit viel Optimismus nach Baden-Baden fahren. Hieber blickt dieser Herkulesaufgabe beim Spitzenreiter entspannt entgegen: "Wir haben dort tatsächlich keinen Druck. Es ist für uns ein Bonusspiel, in dem wir lernen und schauen wollen, was möglich ist." Vielmehr überwiegt bei den Gmündern nun die Freude darüber, dass der Befreiungsschlag scheinbar gelungen ist. "Wenn wir an die beiden letzten Spiele anknüpfen können und dann wieder vollständig sind, bin ich bester Dinge, dass wir die Klasse halten können", resümiert Hieber. Und wer möchte dieser Aussage nach einem solchen Glanztag schon widersprechen?
TSB: Neukamm – Sos (10/6), Fröhlich (8), J.Waldenmaier (4), J.Häfner (3), Bächle (2), Petersen (2), Krauß (2), Leichs, L.Waldenmaier, Schwenk, F.Häfner
SG: Barthold, Rhotert, Heinz – Rau (5), Rose (5/2), Seeger (4), Dürner(4), Maas (4), Marquardt (3), Mezger (3), Zürn (1), Böhm, Fuhrmann, Kussmann
Schiedsrichter: Christian Gebele (TG Altdorf), Timo Widmann (Freiburger TS)
Zuschauer: 450
"Es war unser Tag" - Die Stimmen zum Spiel
(sch) Nach einer mitreißenden Begegnung konnten erleichterte Gmünder ihren zweiten Sieg in Folge bejubeln. Der Aufwärtstrend ist nicht zu verkennen, Grund zum Abheben hat das Hieber-Team aber trotz der starken Leistung gegen die favosierten Herrenberg keinesfalls.
Michael Hieber (TSB-Coach): "Ich bin richtig glücklich, über das was meine Mannschaft gezeigt hat. Wir vor allem in der Abwehr das fortgesetzt, was wir vor zwei Wochen angefangen haben und starken gegnerischen Rückraum im Griff gehabt. Mit der Teamleistung und dem Engagement jedes Einzelnen bin ich sehr zufrieden. Schließlich haben wir auch die Qualität und die Einzelspieler, um ein solches Spiel für uns zu entscheiden Dass es am Ende 29 Gegentore geworden sind, lag daran, dass Herrenberg am Ende alles gewagt hat. Der Alles-Oder-Nichts-Modus bei Herrenberg hat funktioniert, doch wir haben trotzdem gewonnen. Unsere Mannschaft ist an dieser Herausforderung gewachsen und hat wieder einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Wir dürfen jetzt aber nicht in Euphorie verfallen und müssen weiter konsequent sein, denn wir haben noch gar nichts erreicht. Wir haben gegen eines der besten Teams dieser Liga Bonuspunkte im Abstiegskampf geholt, die entscheidenden Spiele folgen aber noch."
Markus Guse (stellvertretender SG-Trainer): "Alles in allem war es ein verdienter Sieg für Gmünd, auch wenn wir am Ende doch noch an einem Punktgewinn schnuppern durften. Der große Knackpunkt aus unserer Sicht waren die sechs Unterzahlsituationen, die der Gegner hundertprozentig konsequent ausgespielt hat. Dass wir direkt nach der Pause deutlich in Rückstand geraten sind, war der Genickbruch für uns. Auswärts sind wir bislang eigentlich immer sehr stabil aufgetreten, aber wir haben lange Zeit keinen Zugriff gefunden und auch unser Rückraum ist nicht ins Rollen kommen. Das hätte uns in diesem enorm wichtigen Spiel nicht passieren dürfen. Wir wollen so lange wie möglich an den Aufstiegsplätzen dran bleiben. Doch nun stehen wir kommende Woche absolut unter Zugzwang, sonst geht diese Fahrt ohne uns weiter."
Philipp Neukamm (TSB-Tormann und Matchwinner): "Unsere hervorragende Mannschaftsleistung hat den Unterschied gemacht. Ich selbst habe gegen diesen starken Gegner mit seinen Top-Schützen keinerlei Druck verspürt. Es war mein Tag, es war unser Tag und dass wir am Ende so verdient gewonnen haben, ist das allergeilste. Die Mannschaft ist top drauf und nur dann funktioniert eine solche Leistung. Das sind genau die Spiele, wofür wir jede Woche dreimal trainieren. Es war heute 60 Minuten Kampf, jeder einzelne hat sich den Allerwertesten für das Team und den Verein aufgerissen."
Dominic Rose (SG-Torjäger): "Wir hatten desolate 15 Minuten zum Ende der ersten und zu Beginn der zweiten Hälfte. Wir haben trotzdem Moral gezeigt und hätten uns so vielleicht sogar noch ein Punktgewinn verdient. Am Ende war die Hypothek aus dem Neun-Tore-Rückstand aber einfach zu hoch."
Jan Häfner (Gmünder Rückraumschütze): "Wir haben uns viel vorgenommen und das vor allem in der Abwehr hervorragend umgesetzt. Ich denke, dass wir trotz der drei Ausfälle als Mannschaft heute sowohl vorne wie auch hinten sehr gut aufgetreten sind. In den letzten zehn Minuten haben wir noch einmal unnötig Schwierigkeiten bekommen. Herrenberg hat sich nicht aufgegeben und bis zum Schluss daran geglaubt, wir waren uns unserer Sache vielleicht ein bisschen zu sicher. Zum Glück haben wir den Sieg dann auch aufgrund einer überragenden Torhüterleistung über die Zeit gerettet."