Das Weilstetter Handball-Märchen geht weiter

 
Handball, Baden-Württemberg-Oberliga: Mit dem TV Weilstetten empfängt der TSB Gmünd am Samstagabend den stärksten Liganeuling der laufenden Saison (Nico Schoch)
 
Neues Spiel, neues Glück? Nach zuletzt fünf sieglosen Partien in Folge und einer 24:31-Hinspielniederlage hofft der TSB Gmünd nun gegen den starken Liganeuling TV Weilstetten auf den Befreiungsschlag im Abstiegskampf. Da sich die Gmünder Großsporthalle an diesem Wochenende fest in den Händen der Guggenmusik befindet, muss das Hieber-Team zum bereits zweiten Mal in dieser Spielzeit in die Römersporthalle ausweichen. Dass dies nicht unbedingt ein Nachteil sein muss, bewies das Team von Trainer Michael Hieber Anfang Oktober mit dem 30:27-Heimerfolg über den derzeitigen Spitzenreiter TVS Baden-Baden. An diese kämpferische Leistung gilt es für den TSB am Samstagabend (19:30 Uhr) anzuknüpfen, um den Fehlstart in die Rückrunde ein wenig abzuschwächen. 
 
Mit dem TV Weilstetten reist allerdings alles andere als ein leicht zu nehmender Aufbaugegner ins Remstal. Der Aufsteiger startete zwar als relativ unbeschriebenes Blatt in seine erste Oberliga-Spielzeit, zählt jedoch durchaus zu den renommierten Namen im württembergischen Amateurhandball und durchlebte zuletzt ein äußerst erfolgreiches Jahr 2017. In Anlehnung an den Balinger Hausberg Lochen (962 Meter) tragen die TVW-Akteure den Kosenamen "Lochenfüchse" und haben auch eine bewegte Vergangenheit zu erzählen. 
 
Die deutsche Meisterschaft der A-Junioren im Jahr 1983 ist der wohl größte Meilenstein der Historie des TV, welche zu Beginn des neuen Jahrhunderts einen Umschwung erlebte. TV Weilstetten und TSG Balingen fusionierten 2002 zum jetzigen Zweitligisten HBW Balingen-Weilstetten, bereits im Jahr zuvor wurde die Jugendspielgemeinschaft Balingen-Weilstetten gegründet. Unabhängig vom namhafteren HBW führten die "Füchse" eine eigene Männermannschaft weiter – und das mit einem klar erkennbaren Trend nach oben. 2008 gelang der Wiederaufstieg in die Landesliga und ab 2011 trat der TVW in der Württembergliga an, im Unterschied zum TSB (Nord-Staffel) jedoch stets in der Süd-Staffel. Der Aufstieg in die Baden-Württemberg-Oberliga war das erklärte Ziel der vergangenen Spielzeit, nachdem der TVW ein Jahr zuvor in der Relegation am SV Remshalden gescheitert war. Das Team von Spielertrainer Klaus Schuldt und Coach Rene Wismar holte sich mit einer beeindruckenden Bilanz von 50:6-Punkten den ersten Rang, durch einen souveränen 29:21-Sieg beim Verfolger TSV Zizishausen machte man das Meisterstück frühzeitig perfekt. In der "Verlängerung" der Saison gelang dem TVW dann sogar noch ein prestigeträchtiger Doublegewinn: Durch einen beeindruckenden 38:27-Heimerfolg und trotz einer unbedeutenden 24:30-Rückspielniederlage gelang gegen Mitaufsteiger Remshalden eine eindrucksvolle Revanche im Finale um die württembergische Meisterschaft. Ende August 2017 gelang dem Underdog in der Stuttgarter Porsche-Arena der große Coup, als HVW-Pokalsieger und Drittligist TSV Neuhausen/Fildern im Württembergischen Super-Cup nach Siebenmeterwerfen bezwungen wurde. 
 
Das Handball-Märchen der Weilstetter hat sich auch in der Oberliga nahtlos fortgesetzt: Zum Saisonauftakt gelang ein 35:33-Erfolg gegen die SG Lauterstein, zwei Woche darauf musste sich der TSB in der Balinger Längenfeldhalle deutlich mit 31:24 geschlagen geben. "Weilstetten hat eine gute Struktur im Spiel, da wird gute Arbeit geleistet. Wir haben schlechten Handball gespielt, wollten keine Entscheidungen mehr treffen und die Bälle reihenweise weggeworfen", resümierte TSB-Coach Michael Hieber nach der Partie und fügte herausschauend hinzu: "Ich bin mir sicher, dass Weilstetten im Rückspiel auf eine ganz andere Mannschaft treffen wird und das Ergebnis zumindest enger ausfallen wird." Während der TSB vergeblich den Weg aus dem Tabellenkeller suchte, konnte der Neuling hingegen immer wieder aufs Neue seine konstante Leistungsstärke unter Beweis stellen. Auch in der Viertklassigkeit muss sich der TVW vor niemandem verstecken, das ist die wohl größte Erkenntnis für die "Lochenfüchse", welche unmittelbar vor der Winterpause zwei weitere Ausrufezeichen setzen konnten. In heimischer Halle gelang nach einem 21:27-Rückstand noch ein 28:28-Remis gegen Drittliga-Absteiger Pforzheim, in Herrenberg gelang ein für den Neuling "sensationeller" 36:35-Auswärtserfolg und zugleich der Sprung auf Tabellenplatz drei. Nach der hervorragenden Hinserie mit lediglich drei Niederlagen wurden die Blau-Weißen von manchem Kontrahent bereits zu den Aufstiegsanwärtern gezählt.
 
Vom Durchmarsch träumt in Weilstetten jedoch niemand. Nach eigener Aussage geht es auf der Balinger Alb nicht darum, ganz oben anzugreifen, sondern ausschließlich um den Klassenerhalt. Denn TVW-Spielertrainer Klaus Schuldt weiß, dass es ganz schnell gehen und das hart erkämpfte Punktekonto gefährlich zusammenschmelzen kann: „In der Liga geht es sehr eng zu, das war von vorne rein klar. Es wird vier bis fünf Absteiger geben, daher sind 22 Punkte zwar schön, aber noch längst nicht ausreichend.“ Im Jahr 2017 stehen bislang zwei Heimniederlagen gegen die Spitzenteams aus Herrenberg (34:39) und Willstätt (22:28) sowie ein 27:26-Erfolg in Lauterstein zu Buche. „Wir waren eigentlich eine Klasse besser, haben es aber nie geschafft, uns richtig abzusetzen“, analysiert der TVW-Coach den knappen Sieg beim Gmünder Lokalrivlaen, „die zweite Halbzeit war dann richtig eng, aber wir ziehen uns im Kollektiv aus der Schlinge. Am Ende zählt nur der Sieg, denn jetzt kann uns Lauterstein kaum noch einholen.“ 
 
Im Vergleich mit dem TSB gestaltet sich die Ausgangslage für den TV Weilstetten trotz aller berechtigten Vorsicht mehr als komfortabel. Das Schuldt-Team gehört mit fünf weiteren Teams derzeit sogar zur Spitzengruppe der BWOL. 22:14 Punkte bedeuten derzeit den siebten Rang bei drei Zählern Rückstand zu einem Aufstiegsplatz und einem vermeintlich sicheren Acht Punkte-Polster zur Abstiegszone.In Sachen Klassenerhalt sollte für die "Füchse" im Normalfall nichts mehr anbrennen, zumal insbesondere in Person der beiden Rückraumakteure Patrick Lebherz (101/15 Saisontore) und Micha Kübler (92/45 Tore) über eine enorme individuelle Klasse verfügt. In fremden Hallen musste Weilstetten bislang nur zwei Niederlagen hinnehmen und stellt damit die drittstärkste Auswärtsmannschaft der Liga – der TSB hingegen muss angesichts von bereits drei Heimniederlagen und zuletzt fünf sieglosen Partien in Folge endlich den Umschwung schaffen, um sich die Chance auf den Klassenerhalt zu erhalten. Der TV Weilstetten, dessen Mannschaft an einem guten Tag wirklich jeden Gegner in der Oberliga bezwingen, wird aber sicherlich keine Gastgeschenke verteilen wollen.