Der TSB Gmünd erlebt bislang eine berauschende Saison und ist das Überraschungsteam der BW-Oberliga. Der fünfte Tabellenplatz kommt aber nicht von ungefähr. Die junge Mannschaft verdient sich besonders für das Meistern der schwierigen Personalsituation ein Kompliment von ihrem Trainer.
Vom Abstiegs-Kandidaten zum Aufstiegs-Aspiranten in nur vier Monaten? Vor Beginn der Corona-Pandemie schien der TSB Gmünd noch der Württembergliga entgegenzusteuern. Auch zu Beginn dieser Runde wurde bewusst tiefgestapelt. Sechs Spieler unter 20 Jahren standen zuletzt im Aufgebot. Inzwischen haben sich die stark verjüngten Jets in die Spitzengruppe vorgepirscht.
Zwischenzeitlich fünf Partien in Folge ungeschlagen, die stärkste Auswärtsmannschaft der Liga, Tabellenplatz fünf – der TSB hat sich zur Spitzenmannschaft der BWOL gemausert. Kein Wunder also, dass der Sportliche Leiter Jürgen Rilli zufrieden fest hält: „Wir sind über unserem Soll.“ Zumal die TSBler immer wieder die Ausfälle etablierter Spieler kompensierten und einen schönen Handball spielten. Damit lockten sie im Schnitt 362 Fans zu ihren Heimspielen – ligaweiter Bestwert. „Wenn wir endlich mal wieder mit voller Kapelle antreten können, dann besitzen wir noch viel mehr Möglichkeiten“, ist Rilli überzeugt.
Dennoch vermitteln die Gmünder nicht den Eindruck, von der guten Tabellensituation überrascht zu sein. Was wiederum dafür spricht, dass die Erfolge wenig bis nichts mit Glück zu tun haben. „Wir leben nicht von Einzelspielern, sondern vom Team“, so beschreibt Trainer Dragoș Oprea das Rezept: „Die Feinheiten funktionieren immer besser.“ Langsam, aber sicher, so der Ex-Nationalspieler, zahle sich die Arbeit der vergangenen anderthalb Jahre aus. „Mir war klar, dass die Jungs irgendwann zünden und die hunderten Stunden an Vorbereitung zur Ergebnissen führen werden. Wir reduzieren unsere Fehler im Training immer weiter, das überträgt sich natürlich auf die Spiele.“
Stolze 15:9 Punkte auf dem Konto sind der verdiente Lohn. Damit hätten vor Saisonbeginn selbst die kühnsten Optimisten nicht gerechnet. Erst recht nicht nach dem missratenen Auftakt, als es vor heimischer Kulisse eine 28:37-Derbyklatsche gegen Heiningen setzte. Eine Woche darauf verspielte der TSB beim Drittliga-Absteiger HSG Konstanz II eine 18:13-Pausenführung und unterlag mit 30:34 – doch die positive Entwicklung war sichtbar. „Es wäre falsch gewesen und auch absolut nicht mein Stil, sofort auf allem und jedem herumzuhacken“, erklärt Oprea rückblickend. Der Trainer behielt die Ruhe und schraubte an den Feinheiten. Zum Brustlöser wurde der dramatische Heimerfolg gegen den TV Weilstetten (32:30), als Nicola Rascher mit zwölf Treffern seinen ersten von zahlreichen Glanztagen erwischte.
Der Rückraumkanonier wurde in den folgenden Wochen zum Unterschiedsspieler. Mit einem direkt verwandelten Freiwurf sicherte Rascher in letzter Sekunde den 26:25-Coup beim TVS 1907 Baden-Baden. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass der TSB als Favoritenschreck in Erscheinung trat. „Unser Charakter und die mentale Stärke, solche Spiele doch noch für uns zu entscheiden, hat mich beeindruckt“, so Oprea: „Und das trotz der personellen Rückschläge, die es gab und die uns immer noch begleiten.“
Ob Kapitän Aaron Fröhlich, Rechtsaußen Wolfgang Bächle, Youngster Tom Abt oder Kreisläufer Jonas Waldenmaier – mit einer extrem dünnen Personaldecke wurden die teils wochenlangen Ausfälle dieser Stammkräfte aufgefangen. An ihrer Stelle traten besonders die jungen Spieler in den Vordergrund, nicht zuletzt auch der erst 23-jährige Nicola Rascher. Neuzugang Eric Zimmermann hat sofort eingeschlagen und ließ den zum TSV Alfdorf/Lorch abgewanderten Aleksa Djokic schnell vergessen. Nach Bächles Verletzung – die sich glücklicherweise nicht als Achillessehnenriss, sondern „nur“ als Muskelfaserriss herausstellte – spielte das zuvor völlig unerfahrene Eigengewächs Patrick Watzl stark auf. Zudem debütierten die A-Jugendlichen Jonas Schwenk und Arian Pleißner in der Viertklassigkeit. „Spielerisch gab es Höhen und Tiefen“, resümiert Oprea. Der Trainer merkte aber schnell, dass er jedem einzelnen seiner Spieler bedingungslos vertrauen kann: „Um in so einer schwierigen Phase gut dazu stehen, braucht man Charakterspieler – und die haben wir.“
Damit ist ganz besonders ein Mann gemeint: Philipp Schwenk ist die Wiederentdeckung dieser Saison. Der Rückkehrer war eigentlich nur für das Perspektivteam des TSB in der Bezirksklasse eingeplant, mittlerweile ist er unverzichtbar für Oprea. „Philipp ist für uns die Kirsche auf der Torte“, ließ sich dieser sogar zu einem kulinarischen Wortspiel hinreißen. Schwenk, der bereits von 2014 bis 2018 in der Oberliga für den TSB aktiv war, stabilisierte an der Seite des wiedererstarkten Christian Waibel die Defensive und setzte gleichzeitig auch im Umschaltspiel wichtige Akzente. Oprea sieht ihn als „das Puzzlestück, das uns gefehlt hat, um auf dieses hohe Niveau zu kommen.“ „Seine Erfahrung und sein Spielverständnis sind besonders für die Entwicklung der jungen Spieler förderlich“, ergänzt Rilli.
Auch dank der defensiven Stabilität gelang es dem TSB zunehmend, die eigenen Schwächephasen zu reduzieren. „Wir haben ein tolles Gesamtkonstrukt aus erfahrenen und jungen, dynamischen Spielern“, freut sich Rilli über diesen Lernprozess: „Sobald einer der Jüngeren einen schwächeren Tag erwischt, wird er von den Mitspielern wieder hochgezogen. Jeder kämpft für jeden. Das sind die Tugenden, die uns auszeichnen.“ So wurde auch der Dämpfer gegen Steißlingen (28:29) – die Gäste siegten glücklich durch einen Siebenmeter nach Ablauf der regulären Spielzeit – schnell abgehakt. Eingeplant war diese Niederlage gegen den Tabellendreizehnten sicher nicht, aber letztlich der angespannten Personalsituation geschuldet.
Umso eindrucksvoller war es dann, wie der TSB in fremder Halle den zuvor unbezwungenen Spitzenreiter TSV Weinsberg (34:28) entzauberte. „Was die Jungs dort geboten haben, war schlichtweg überragend“, jubelte Oprea und schätzte dies noch „um zwei Stufen höher“ ein als den nicht minder überraschenden Sieg in Baden-Baden. Es war ein Auftritt, mit dem sich der TSB nicht nur zwei weitere Punkte, sondern auch mächtig Respekt erspielt hat. „Den haben sich die Jungs auch vollauf verdient“, findet Oprea. Sein Tormann Daniel Mühleisen, der immer wieder zur Höchstform auflief und die Bälle fast schon magisch anzog, brachte das gestiegene Selbstbewusstsein auf den Punkt: „Derzeit macht es einfach großen Spaß und wir haben eine große Lust, unsere Leistung jede Woche aufs Neue zu steigern.“
Die Verantwortlichen sind trotz der Erfolgsserie stets um eine realistische Einschätzung bemüht und wehren sich vehement dagegen, nun als Aufstiegskandidat gehandelt zu werden. „Keine Frage, bislang haben wir eine gute Saison gespielt“, verweist Oprea auf die hervorragende Stimmung im Team an und betont im gleichen Atemzug dennoch: „„Wir sollten uns weiterhin nur auf uns und unsere Stärke konzentrieren.“ Es gibt durchaus Gründe, den bisherigen Höhenflug nicht überzubewerten. Erst 12 von 30 Spieltagen sind absolviert. Die Liga ist derart ausgeglichen, dass der Vorsprung zu den fünf Abstiegsplätzen mit sieben Zählern nicht besonders komfortabel ist. Beim Tabellenzweiten SG Köndringen/Teningen (25:32) bekam der TSB im Dezember außerdem knallhart vor Augen geführt, dass die Top-Teams an einem durchschnittlichen Tag doch noch eine Nummer zu groß sind. Dieser Nackenschlag wurde durch den 36:34-Erfolg in Bittenfeld kurz vor Weihnachten allerdings umgehend wieder vergessen gemacht. Es war der krönende Abschluss einer ersten Saisonhälfte, die keinesfalls so locker von der Hand ging wie es der Tabellenstand aussagt.
Denn Oprea ist durchaus in Sorge um seine Spieler. Besonders den Leistungsträgern fehlten zuletzt die nötigen Regenerationspausen. „Meine Jungs haben einen super Charakter und beweisen ihr Herz jede Woche, aber sie sind eben doch keine Maschinen“, weiß der 39-Jährige. Ihm ist klar: „Der Körper wird sich seine Pausen holen.“ Doch das Gmünder System funktioniert eben nur, wenn sich jeder „an die Taktik hält und sein ganzes Herz auf die Platte bringt. 70 Prozent Einsatz reichen da nicht.“ Der dünne Kader bleibt deshalb die große Baustelle.
Kurzfristige Neuzugänge wird es nicht geben, vielmehr steht weiterhin die Integration der eigenen Nachwuchskräfte im Vordergrund. Denn auch deren Auftritte lassen sich durchaus sehen: Die von Philipp Schwenk gecoachte A-Jugend qualifizierte sich ohne Punktverlust für die Württembergliga, das Perspektivteam marschiert in der Bezirksklasse als Tabellenführer vorneweg. „Am jetzigen Kader wollen wir möglichst wenig verändern“, lautet deshalb Rillis Devise.
Kurzfristige Neuzugänge wird es nicht geben, vielmehr steht weiterhin die Integration der eigenen Nachwuchskräfte im Vordergrund. Denn auch deren Auftritte lassen sich durchaus sehen: Die von Philipp Schwenk gecoachte A-Jugend qualifizierte sich ohne Punktverlust für die Württembergliga, das Perspektivteam marschiert in der Bezirksklasse als Tabellenführer vorneweg. „Am jetzigen Kader wollen wir möglichst wenig verändern“, lautet deshalb Rillis Devise.
Spekulationen um den Rest der kräftezehrenden Saison lassen sowohl Trainer als auch Sportlichen Leiter kalt. Bis Ende Mai haben die Jets nur ein Wochenende über Ostern spielfrei – vorausgesetzt die aufgeblähte Saison wird wie geplant zu Ende geführt. Andere mögliche Szenarien, um Puffer für mögliche Nachholspiele zu schaffen, werden wohl diskutiert. Ein mögliches davon, wäre es nur die Hinrunde zu spielen und die Liga im Anschluss in eine Auf- und Abstiegsrunde aufzuteilen. Ein Szenario, welches in Anbetracht der Lage um das Coronavirus und zu erwartende Spielausfälle sicherlich Sinn machen würde. „Das müssen wir auf uns zukommen lassen in der Hoffnung, dass noch einige heiße Spiele auf uns warten“, so Oprea: „Unabhängig davon ist die Tabelle zwar schön anzusehen, doch wir werden uns davon weiterhin nicht blenden lassen.“
Zum Auftakt ist am kommenden Samstag (19:30 Uhr) der Tabellenvorletzte TSV Schmiden zu Gast in der Großen Sporthalle. Ein Gegner, den es nicht zu unterschätzen gilt, will die Oprea-Sieben weiter vorne mitmischen. „Druck machen sich die Jungs nur selber“, erklärt Oprea lächelnd. Grundsätzlich könne seine Mannschaft befreit aufspielen: „Unsere ausgeprägte Siegermentalität pusht uns einfach. Ich brauche immer sieben Charaktertypen auf dem Spielfeld, die wie Löwen kämpfen. Das sind wir, das ist der TSB.“
TSB-Spielerstatistik
Nicola Rascher (RL): 12 Einsätze, 70/8 Tore, 11 Zeitstrafen, 1 Rote Karte
Eric Zimmermann (LA): 12 Einsätze, 56/1 Tore, 1 Zeitstrafe
Marian Rascher (RM): 11 Einsätze, 40/17 Tore, 7 Zeitstrafen
Sven Petersen (RR): 11 Einsätze, 35 Tore, 3 Zeitstrafen, 1 Rote Karte
Tom Abt (RM): 11 Einsätze, 31/3 Tore, 4 Zeitstrafen
Wolfgang Bächle (RA): 11 Einsätze, 28/2 Tore, 3 Zeitstrafen
Aaron Fröhlich (RM): 10 Einsätze, 24/2 Tore
Patrick Watzl (RR): 12 Einsätze, 24 Tore, 1 Zeitstrafe
Jonas Waldenmaier (KR): 9 Einsätze, 19 Tore, 1 Zeitstrafe, 1 Rote Karte
Stephan Mühleisen (KR): 10 Einsätze, 15 Tore, 7 Zeitstrafen
Philipp Schwenk (RM): 10 Einsätze, 15 Tore, 3 Zeitstrafen, 1 Rote Karte
Arian Pleißner (RL): 10 Einsätze, 4 Tore, 1 Zeitstrafe
Valentin Pick (RL): 12 Einsätze, 1 Tor, 1 Zeitstrafe
Daniel Mühleisen (TW): 12 Einsätze, 1 Tor
Kai Kiesel (KR): 5 Einsätze
Hannes Kauderer (LA): 2 Einsätze
Jonas Schwenk (RL): 2 Einsätze
Sebastian Fabian (TW): 9 Einsätze
Devin Immer (TW): 5 Einsätze
(Text: Nico Schoch – Bilder: Enrico Immer)