Beruf geht vor: Nicola Rascher verlässt den TSB Gmünd „schweren Herzens“

Kapitän, Torjäger, Mentalitätsspieler – wie kein anderer prägte Nicola Rascher in den vergangenen vier Jahren das Spiel des TSB Gmünd. Doch im Sommer ist vorerst Schluss. Eine berufliche Weiterbildung bringt den 25-Jährigen an seine Belastungsgrenze.

Die Aufholjagd am Freitagabend blieb zwar unbelohnt, ohne das Durchsetzungsvermögen von Nicola Rascher wäre der TSB Gmünd auswärts beim TV Bittenfeld II wohl beinahe chancenlos gewesen. In seiner 80.Oberliga-Partie mit den „Jets“ markierte er seine Treffer 453 bis 458, gleichzeitig begann mit der 33:40-Niederlage seine persönliche Abschiedstournee aus der vierthöchsten Spielklasse. Eine emotionale Angelegenheit, die im bevorstehenden Abstiegskampf zunächst nur eine untergeordnete Rolle spielt.
 
Denn Kapitän Rascher weiß ganz genau, welche Last auf seinen Schultern liegt. Nicht bloß als Torjäger vom Dienst, sondern vielmehr als Führungsfigur und vorbildlicher Kämpfer ist er seit Sommer 2020 unverzichtbar für den TSB. Allerdings fällt es immer schwerer, die gewohnte Energie aufs Feld zu bringen. Zwar „darf“ Rascher eine der drei wöchentlichen Trainingseinheiten verpassen. Doch der 40 Stunden-Job inklusive einer beruflichen Weiterbildung zum Betriebswirt an der Abendschule zehrt an den Kräften. Es gibt keinen Abend, an dem er vor 21 Uhr erschöpft nach Hause kommt: „Effektiv habe ich nur einen, maximal zwei Tage für Familie, Freunde und Partnerin übrig. Das bringt mich ans Limit. Ich bin dauernd unter Strom, weil ich zu keiner Zeit wirklich zur Ruhe komme.“
Schweren Herzens zieht Rascher deshalb im Sommer einen Schlussstrich unter dann sieben Jahre zeitintensiven Oberliga-Handball. Eine Entscheidung, die nicht gegen den TSB sondern für die Zukunft außerhalb der Halle gefallen ist, und den 1,90 Meter großen Modellathleten den Tränen nahe bringt. „Ich habe sehr lange mit mir gerungen“; berichtet er von einem besonders schweren Moment: „Wenn man dann vor der Truppe steht, mit der man viele schöne Momente geteilt hat und das persönlich mitteilt, tut das richtig weh. Danach ist schon eine Last von mir abgefallen.“
 
Kein Zweifel: Für den TSB ist dieser Verlust kaum zu kompensieren, weder sportlich noch menschlich. Entsprechend brauchte der Sportliche Leiter Jürgen Rilli einige Tage, um diese Hiobsbotschaft zu verdauen: „Das ist wahnsinnig bitter. Er hat mich sehr früh in seine Gedanken eingebunden und wir haben versucht eine Lösung zu finden.“ Letztlich ohne Erfolg. Doch als Vater weiß auch Rilli nur zu gut, dass Bildung und Beruf vorgehen. „Sich berufsbegleitend neben dem Handball derart reinzuhängen, ist klasse von Nico. In seinem jungen Alter diesen Schritt zu gehen, nötigt mir auch Respekt ab.“

Seit der Volljährigkeit, blickt Rascher zurück, habe er dem Hobby „alles untergeordnet.“ Vom Jugendverein TSV Bartenbach wagte er 2017 den Sprung zum Oberligisten TSV Deizisau, nach zwei Jahren bei der SV Remshalden zog es ihn gemeinsam mit dem älteren Bruder Marian zum TSB. Von Anfang sei es – modern formuliert - ein „perfect match“ gewesen. Der Gmünder Beinahe-Abstieg im Jahr zuvor, die Corona-Pandemie und ein neuer Trainer: „Keiner wusste so recht, wo wir stehen. Doch es kam neuer, frischer Wind herein.“ Einen wahren Sturm entfachten die Rascher-Brüder, als sie ihr Team unter der Regie von Dragos Oprea 2021/22 mit einem TSB-Punkterekord auf den fünften Platz führten. Anschließend gab Marian dem Lehrerberuf den Vorrang. Nicola blieb und steigerte seine Torquote als neu gewählter Kapitän nochmals, so dass sich die verjüngte Mannschaft weiter festigte.
 
„Es lässt nicht von der Hand weisen, dass wir erfolgreich gearbeitet und ich als Führungskraft meinen Teil geleistet habe“, zeigt sich Rascher erfreut. Er ist Herz und Kopf der „Jungen Wilden“, hebt gleichzeitig deren steile Entwicklung hervor. Allen voran die Rückraumpartner Tom Abt und Andreas Maier seien da explizit zu nennen. Unter anderem an diesem Duo wird es liegen, künftig Raschers große Fußstapfen auszufüllen. „Brutal schwierig bis unmöglich“, wird es laut Rilli den Top-Torjäger zu ersetzen, der zugleich auch die Abwehr zusammenhält. Der Plan des Sportlichen Leiters: „Das geht nur im Kollektiv. Wir haben in den eigenen Reihen viele junge Spieler mit großem Potenzial, die das schon jetzt in Teilen kompensieren können.“
Schon in dieser Runde musste Rascher aufgrund von Knieproblemen ungewollt viele Pausen einlegen. „Ich habe es im Griff“, sagt er zwar: „Aber gut ist es nicht und das macht sich teilweise auch im Alltag bemerkbar.“ Was aber keinesfalls bedeutet, dass der 25-Jährige seine Hallenschuhe komplett an den Nagelhängen wird. Als Ausgleich zum Berufsleben wird er zur neuen Saison wieder für den TSV Bartenbach auflaufen. Zum einen, weil in der Landesliga die Spiele deutlich weniger und die Fahrten kürzer sind. Zum anderen auch, weil Onkel Ralf und Bruder Marian dort als Trainerduo wirken. Die Familienbande verbindet bekanntlich die Leidenschaft für den Beachhandball. Im Sand wollen die „Otternasen“ nach der deutschen Meisterschaft 2022 schon bald neue Erfolgsgeschichten schreiben. Soweit es die Zeit zulässt, will Nicola Rascher weiterhin vorangehen: „Wenn man das einmal erlebt hat, dann will man das nicht ein einmaliges Erlebnis bleiben lassen.“
 
Der „Beachhandballer des Jahres 2023“ wird so oder so im Gedächtnis der Gmünder Zuschauern bleiben. Denen will er vor seinem nahenden Abschied noch einiges bieten. Die 500 Tore-Marke im TSB-Trikot hat Rascher dicht vor Augen und reiht sich damit hinter Aaron Fröhlich (1000) in den Geschichtsbüchern ein. Dieser persönliche Meilenstein plus der Klassenerhalt – das wäre das „i-Tüpfelchen“ auf einer spannenden Zeit, findet Rascher: „Unabhängig von allen Ergebnissen haben wir eine überragende Truppe. Da gibt es keinen Groll, jeder gibt Gas und hat Bock, sich weiterzuentwickeln. Das habe ich in dieser Form noch nie erlebt.“
13 Auftritte mit diesem Team sind es noch für den Mann mit der Rückennummer Zwölf. Viel Wehmut wird mitschwingen, „doch umso mehr werde ich die Spiele mit den Jungs genießen.“ Und wer weiß, was die Zukunft bringt. Die Tür beim TSB Gmünd wird für Nicola Rascher niemals verschlossen sein. „Vielleicht kickt es mich in den nächsten Jahren nochmal und die Leistung stimmt auch noch“, hofft er. Eines steht jetzt schon fest: „Als Zuschauer werde ich mir kein Heimspiel entgehen lassen. Die Jungs und der Verein liegen mir viel zu sehr am Herzen.“

(Text: Nico Schoch - Bilder: Enrico Immer)