Ein Unterschied wie Tag und Nacht: Erneuter TSB-Krimi endet Unentschieden

Der TSB Gmünd bietet die nächste atemberaubende Aufholjagd und bleibt zum siebten Mal nacheinander ungeschlagen. In den letzten 90 Sekunden eines schon verloren geglaubten Heimspiels rettet das Oprea-Team ein 28:28 (10:17) – Unentschieden gegen den Abstiegskandidaten TSV Birkenau.
 
Die Comeback-Könige der Oberliga haben wieder einmal zugeschlagen. Bereits im Januar hatte der TSB bei den Gastspielen in Herrenberg (26:26) und Heiningen (27:26) jeweils einen Sechs Tore-Rückstand wettgemacht. Auch beim famosen Heimerfolg über Klassenprimus Baden-Baden (30:25) eine Woche zuvor lagen die Gmünder anfangs mit bis zu drei Toren im Hintertreffen. Am Samstagabend durften sich die erneut knapp 500 Zuschauer in der Großen Sporthalle abermals über die Extraportion Nervenkitzel freuen. Dem Trainer allerdings ist dies mehr schlecht als recht. "Ich kenne keine anderen Teams, die so oft zurückkommen wie wir", erklärt Dragoș Oprea zwar. Doch in den Stolz über die tolle Moral der eigenen Truppe mischt sich auch der Ärger: "Fehler darf und soll man machen. Aber dieser Fehler, dass wir teils deutlich in Rückstand geraten, wiederholt sich immer wieder."
 
Gegen Baden-Baden hatten die Jets laut Oprea ihre beste Saisonleistung gezeigt. Doch ausgerechnet bei der vermeintlich einfachen Aufgabe gegen den Tabellenzwölften aus Birkenau folgte die schlechteste Saisonleistung – zumindest in der ersten Halbzeit. Das Fehlen von insgesamt vier Stammspielern – Aaron Fröhlich, Sebastian Fabian, Sven Petersen und kurzfristig auch noch Philipp Schwenk – sollte allerdings nicht als Ausrede gelten. "Wir haben in der vergangenen Woche ein Festspiel abgeliefert und an dieser Leistung messen uns die Leute, weil wir gezeigt haben, was wir in der Lage sind zu leisten", so der TSB-Coach. Dass die Gmünder daran nicht anknüpfen konnten, dafür hatte Gästetrainer Holger Schwab eine einfache Erklärung parat: "Nach einem solchen Spitzenspiel war doch klar, dass gegen einen Abstiegskandidaten ein paar Prozent in der Einstellung fehlen. Das ist völlig normal und das ist bei jeder Mannschaft der Welt so. Das war unsere Chance."
 
Dass die Südhessen diese Chance so gut nutzen würden, damit hatte aber auch Schwab selbst nicht gerechnet. Und auch die Gmünder Fans rieben sich verwundert die Augen, als nach einer Viertelstunde ein 2:10 auf der Anzeigetafel stand. Der TSB war nicht wiederzuerkennen und ließ sich in eigener Halle phasenweise vorführen. Im Angriff fehlte jegliches Durchsetzungsvermögen und auch die Präzision. Tom Abt und Nicola Rascher verzweifelten bereits in der Anfangsphase dreimal am Aluminium, während die Birkenauer immer wieder überraschende Würfe aus der zweiten Reihe abfeuerten. Allen voran den Rückraumschützen Lukas Gutsche bekam die Gmünder Abwehr überhaupt nicht zu greifen, auch eine Manndeckung war wirkungslos.
 
Im Vergleich zur Vorwoche war es ein Unterschied wie Tag und Nacht. Das Tempospiel des TSB fand gar nicht statt, auch weil sich Birkenau gezielt darauf eingestellt hatte, diese Stärke zu unterbinden. "Doch wir haben die erste und zweite Welle überhaupt nicht versucht oder forciert, wie wir es können", kritisierte Oprea. Immer, wenn sich der TSB in langen Angriffen ein Tor erarbeiten konnte, hatten die Gäste die schnelle Antwort parat und hielten einen Sieben Tore-Vorsprung aufrecht. Erschwerend hinzu kam, dass der zuletzt so stark haltende Daniel Mühleisen überhaupt keinen guten Tag erwischt hatte. Nach 20 Minuten räumte er seinen Platz für Devin Immer und der Youngster verhinderte mit drei Paraden sogar weitaus Schlimmeres. Mit dem 10:17 (30.) zur Halbzeitpause war der TSB noch gut bedient.
 
Umso beeindruckender war die Reaktion, die nach dem Seitenwechsel folgte. Marian Rascher, Patrick Watzl und Eric Zimmermann brachten die Gmünder mit drei Toren in Folge zurück ins Spielgeschehen. Die Abwehr steigerte sich ebenfalls erheblich. So konnte sich auch der aufs Feld zurückgekehrte Mühleisen mit einigen Paraden auszeichnen, durch einen gehaltenen Siebenmeter sammelte er neues Selbstbewusstsein. Gleichzeitig brachte Tom Abt auf der Spielmacher-Position die nötige Entschlossenheit zurück in die Gmünder Offensive. Der 19-Jährige ging voran und dorthin wo es weh tut. Fünf seiner sechs Tore erzielte Abt im zweiten Durchgang.
 
Dennoch sah es ganz danach aus, als ob die couragierte Aufholjagd dieses Mal unbelohnt bleiben würde. Näher als auf 17:20 (39.) und 21:24 (49.) kamen die Gmünder zunächst nicht heran. TSV-Rechtsaußen Simon Spilger, zweitbester Torschütze der Oberliga, hielt die Gäste in der Schlussphase mit seinen Treffern auf Kurs. Abt sorgte zwar dafür, dass der TSB beim 25:26 (56.) erstmals wieder auf Tuchfühlung gelangte. Marian Rascher hätte kurz darauf erneut den Anschluss herstellen können, scheiterte aber ausgerechnet mit seinem sechsten und wohl wichtigsten Siebenmeterwurf an TSV-Keeper Nils Heckmann (58.). Spilger erhöhte im Gegenzug wieder auf 25:28 (59.). 90 Sekunden vor Spielende war es mucksmäuschenstill in der Halle, aus Gmünder Sicht war das Heimspiel eigentlich schon verloren.
 
"Doch auch wenn diesen Spruch viele Leute belächeln, ein Spiel dauert eben 60 Minuten", meint Oprea mit Blick auf das beinahe sensationelle Comeback seines Teams: "Das zeigt einfach, dass im Handball alles möglich ist." Nach Opreas letzter Auszeit tankte sich Abt entschlossen durch und traf aus spitzem Winkel. Der folgende Angriff der Gäste wurde von der TSB-Abwehr gestoppt. Daniel Mühleisen schaltete am schnellsten und bediente den schnell gestarteten Wolfgang Bächle mit einem weiten Pass, der Rechtsaußen verwandelte technisch perfekt zum 27:28. Mit einer offensiven Deckung zwang der TSB die Gäste prompt zum nächsten Ballverlust, 25 Sekunden verblieben für die letzte Aktion. Da Nicola Rascher manngedeckt wurde, erhielt Abt im Rückraum etwas mehr Platz. Energisch setzte er sich gegen zwei Verteidiger durch und gab den Ball ab an Kreisläufer Stephan Mühleisen, der das glückliche Ende mit seinem Treffer perfekt machte. "Da gibt es dann nichts anderes als mit Vollgas reingehen und hoffen, dass es klappt", erklärte Abt anschließend voller Erleichterung.
 
Den vierten Sieg in Serie hatte der TSB damit zwar verpasst, blieb aber immerhin im siebten Spiel nacheinander ungeschlagen und liegt als Tabellenfünfter weiterhin in Schlagdistanz zu den Spitzenplätzen. Für Oprea gilt aber weiterhin: "Wir sprechen sicher nicht über den Aufstieg, das wäre ein ganz falsches Signal. Wir bewegen uns immer Schritt für Schritt." Ein krasser Rückschritt sei das Remis gegen den Außenseiter aus Birkenau zwar nicht gewesen, aber es zeigt eben doch, dass es dem ersatzgeschwächten TSB an Konstanz mangelt.
 
Kommenden Samstag (20 Uhr / Sportpark Mindlestal) reisen die Gmünder nach Südbaden zum TuS Steißlingen – erneut ein Gegner, der knöcheltief im Abstiegskampf steckt und gegen den der TSB in drei Versuchen bislang nicht einen einzigen Punkt holen konnte. "Dafür wird es nun Zeit", findet Rechtsaußen Wolfgang Bächle: "Denn abgesehen von der ersten Halbzeit gegen Birkenau haben wir einen guten Lauf. Wir sind seit sieben Spielen ungeschlagen, das soll uns erst mal einer nachmachen. Deshalb gehen wir selbstbewusst in dieses Spiel."
 
TSB: Daniel Mühleisen, Devin Immer – Tom Abt (6), Nicola Rascher (5), Marian Rascher (5), Eric Zimmermann (4), Wolfgang Bächle (4), Patrick Watzl (3), Stephan Mühleisen (1), Christian Waibel, Jonas Schmutzert, Arian Pleißner, Vincent Pick, Valentin Pick, Kai Kiesel
TSV: Nils Heckmann, Erik Fremr – Simon Spilger (7), Lukas Gutsche (6), Niklas Zehrbach (4), Stefan Dietrich (4), David-Denny Hirsch (3), Simon Schwarz (1), Simon Kuch (1), Tobias Büttel (1), Jonas Böhm (1), Laurenz Keil, Clemens Tillmann, Marvin Brock, Niklas Bolkart
Siebenmeter: TSB 6/5 – TSV 3/2
Zeitstrafen: TSB 4 Minuten – TSV 6 Minuten
Schiedsrichter: Dominic Mohrlok (SG Pforzheim/Eutingen), Julian Zoller (HC Neuenbürg)
Zuschauer: 485
 

"Irgendwann geht es in die Hose" – Stimmen zum Spiel
 
Dragoș Oprea, TSB-Trainer: "Birkenau ist ein Gegner, der tabellarisch nicht dort steht, wo er hingehört. In der ersten Halbzeit haben sie uns hergespielt. Bei sieben Toren Rückstand habe ich natürlich niemanden persönlich angegriffen, aber ich habe schon an unsere Moral und unseren Charakter appelliert. Denn ohne Absprachen und den nötigen Einsatz in Abwehr und Angriff funktioniert unser System nicht. Wir sind keine One-Man-Show, sondern eine Team-Show. Wir geben uns niemals auf und haben das bereits oft bewiesen. Aber meine Jungs müssen aus dieser ersten Halbzeit lernen, wenn sie den nächsten Schritt machen wollen, sei es tabellarisch oder in ihrer Entwicklung. Fehler darf und soll man machen. Aber dieser Fehler, dass wir in Rückstand geraten, wiederholt sich immer wieder. Das ist so ein Knackpunkt, wo ich als Trainer noch dabei bin zu schauen wieso und warum uns das passiert. Irgendwann geht es in die Hose, heute wäre es fast so weit gewesen."
 
Holger Schwab, TSV-Trainer: "Unsere Chance bestand darin, dass wir eigentlich keine hatten. In der ersten Halbzeit haben wir fast alles richtig gemacht, bis auf die Tatsache, dass wir Nicola Rascher zu oft haben werfen lasssen. Das war die einzige große Schwäche, die wir in der Abwehr gezeigt haben. Wenn wir mit zwei oder drei Toren Vorsprung mehr in die Pause gegangen wären, hätte das vermutlich gereicht. So aber war mir klar, dass es noch einmal eng werden könnte. Hinten hinaus hat uns ein bisschen die Kraft gefehlt, wir waren nicht clever genug und drei falsche Entscheidungen der Schiedsrichter kommen noch dazu. Dieser Punktverlust tut weh, denn ein Sieg hätte uns im Kampf gegen den Abstieg richtig gut getan. Wir waren einfach zu grün hinter den Ohren."
 
Tom Abt, bester TSB-Torschütze: "Wir saßen in der Halbzeitpause ziemlich geknickt in der Kabine und haben uns gesagt: Männer, das war katastrophal, aber das Spiel dauert 60 Minuten. Wir hatten die Überzeugung und das Selbstbewusstsein, dieses Spiel noch drehen zu können. Das haben wir schon ziemlich oft bewiesen und es zeigt, was für eine starke Mannschaft wir sind. Dodo Oprea kam in der zweiten Halbzeit zu mir und gesagt, dass wir mehr Bewegung im Spiel brauchen. Das habe ich mir zu Herzen genommen und versucht, es bestmöglich umzusetzen. In der zweiten Halbzeit lief es dann ziemlich gut, so haben wir neues Selbstvertrauen und am Ende einen Punkt gewonnen."
 
Simon Spilger, TSV-Torjäger: "Niemand hätte damit gerechnet, dass wir mit einem solch einem Lauf ins Spiel starten und zur Halbzeit so deutlich in Führung liegen. Dass wir das in den letzten beiden Minuten noch aus der Hand geben, ist umso bitterer. Mit ein bisschen mehr Glück und Cleverness hätten wir beide Punkte holen können. Doch im Abstiegskampf können wir jeden Punkt noch gut brauchen. Die positive Stimmung müssen wir nun in die nächsten Spiele mitnehmen."
 
Christian Waibel, TSB-Abwehrspezialist: "Wir waren zu langsam und zu statisch in der ersten Halbzeit, es war ganz träge und so sind wir gar nicht ins Spiel gekommen. Im Prinzip war alles schlecht. Da hat jeder überall nachlässig gespielt. Dann sind wir aber mit mehr Schwung aus der Kabine zurückgekommen, haben eine bessere Abwehr gestellt und sind aggressiv aufgetreten. Vorne war dann endlich Tempo in den Aktionen. Nachdem wir zuhause schon einige Male die Punkte verschenkt haben, fühlt sich dieses Unentschieden am Ende wie ein Sieg an."
 
Wolfgang Bächle, TSB-Rechtsaußen: "Wir waren zu Beginn komplett neben der Spur, Birkenau hat uns auseinandergenommen. Es war ein schwarzer Tag, aber trotzdem wollten wir versuchen, das Ding mit aller Macht herumzureißen. Jeder Einzelne hat daran geglaubt, das war zu spüren. Denn wir wussten, dass wir vor der Pause komplett unter unseren Möglichkeiten gespielt haben. Es zeugt von Charakter, wenn man so zurückkommt und so können wir zum Schluss sehr froh sein über diesen gewonnenen Punkt."

(Text: Nico Schoch - Bilder: Enrico Immer)